Samstag, 4. Oktober 2014

Projekte mit den Kindern und Abschied nehmen

 20/09/2014
Weltwärtsbericht Nummer 4
von Nicole Schischke
Muli bwanji! Ganz ungewohnt sitze ich gerade nicht in der Sonne oder an einem warmen, roterdigen Ort auf dem afrikanischem Kontinent, sondern im herbstlichen Deutschland, wo ich nun schon seit ca. 1 1/2 Monaten wieder lebe.

Die letzten drei Monate in Malawi habe ich als sehr intensiv erlebt, da der Abscheid immer näher gerückt ist und somit auch das Verlangen noch möglichst viel zu sehen und zu erleben.

Wie bei uns wird auch in Malawi in dieser Jahreszeit gerne geheiratet, so hatte ich die Möglichkeit einen ''Bridal Shower'' und eine Hochzeit zu sehen. Der Bridal Shower findet einige Tage vor der Hochzeit statt und auf dem, auf dem ich war wurden die Gäste in eine große Halle eingeladen. Das Brautpaar saß mit den Trauzeugen und Mädchen, die während der Feier getanzt haben erhöht auf einer Bühne. Dann wurde getanzt, Geld für das Brautpaar gesammelt und dem Brautpaar wurden von verschiedenen Leuten, u.a. Eltern, Tipps für eine gelungene Ehe gegeben, was ich sehr schön fand. Die Woche darauf fand die Hochzeit statt. Besonders gut gefiel mir der Einzug in die Kirche, da der Bräutigam mit seinem Vater am Altar stand und aus dem hinteren Bereich der Kirche eine Reihe Leute kam: Dem ca. 5 jährigen Jungen mit dem Anzug und der Bibel in der Hand folgten 4 sehr, sehr bunt angezogene Brautjungfern (knallgeld und knallblaue Kleider) und anschließend die Braut in einem wunderschönen, langen, weißen Kleid, ihr Blumenmädchen und ihre Mutter. Wie es in Malawi üblich ist, tanzte die Braut beim Einzug und der Bräutigam tanzte von dem Altar aus ebenfalls auf die zu. So trafen sich beide in der Mitte wo sie jeweils von ihren Eltern an den zukünftigen Ehepartner ''abgegeben'' wurden. Von der Mitte der Kirche aus gingen sie nun als Paar zum Altar. Diese Tradition finde ich sehr interessant und ausdrucksstark!

Ein weiteres Ereignis, welches ich mit der Kirche verbinde, war das Chorfestival bei dem viele Chöre unserer Gemeinde gegeneinander angetreten sind. Die Chöre haben jeweilis die gleichen 3 Lieder in allen möglichen Variationen und mit ganz verschiedenen Tänzen getanzt. Es war schön zu sehen, wie kreativ die Gruppen da geworden sind und wie viel Spaß sie daran hatten. Ich habe mich besonders gefreut, meine Projektpartnerin Anne mit ihrem Chor auftreten zu sehen, bei dem auch einige Lehrer dabei sind. Als die Jury genau diesen Chor auch noch als Gewinner auserkoren hat, war ich noch glücklicher!! Nun geht es für den Chor in die nächstgrößere Stadt Kasungu und wenn sie es dort schaffen immer weiter auf, bis zum Finale in Lilongwe, der Hauptstadt. Das wird einige Zeit dauern, aber ich hoffe unser Chor aus Madisi gewinnt den Wettbewerb, da sie es so hart wie sie immer üben (neben der Arbeit her) wirklich verdient haben.

All diese zuvor genannten Ereignisse fanden natürlich an Wochenenden statt und waren sehr schön. Meine Lieblingstage sind jedoch immer die Wochentage mit den Kinder in der Schule. Es ist wirklich wahr: Wenn man eine Arbeit hat, die einem Spaß macht, arbeitet man keinen einzigen Tag im Leben. Und so ging es mir das Jahr über in Malawi! In den letzten Monaten habe ich vorallem viel Praktisches mit den Kindern gemacht.

Zunächst einmal hatten wir das Thema “Nähen” im Expressive Arts Unterricht. Es sollten T-Shirts genäht werden, was bei 80 Kindern nicht möglich ist, da es an Material für diese T-Shirts mangelt. Ich habe von meiner Vorgängerin erfahren, dass sie Etuis mit den Kindern genäht hat und dachte mit, dass dies eine sehr gute Idee sei, die sich auch in meiner Klasse umsetzen ließe. Es hat den Kindern sehr großen Spaß gemacht, sich Etuis für ihre Stifte zu nähen und es ist unglaublich wie konzentriert sie beim Handarbeiten sind. So still wie beim Nähen habe ich meine Klasse noch nie zuvor erlebt! Natürlich wollten auch alle Kinder ihr Etuis benotet haben, was nicht sehr leicht war, da wirklich alle Etuis gut gelungen sind.
Mich hat es sehr gefreut zu sehen, wie interessiert die Kinder am Nähen sind und wie sie sich bemühen es gut zu machen. Also bin ich zu der Schulleiterin gegangen, habe nach Material gefragt und die Kinder, die ihre Nähfähigkeiten ausbauen wollten, dazu eingeladen, nachmittags Schultaschen in Form von Jutebeuteln zu nähen. Mit ca. 20 Kindern habe ich mich dann eine Woche lang nachmittags von ca. 14 Uhr bis 17 Uhr getroffen, um Taschen zu nähen. Es war unglaublich schön, noch einmal außerhalb des Unterrichts Zeit mit den Kindern zu verbringen. Da es so eine kleine Gruppe war, war es weniger Unterricht, sondern mehr ein Treffen unter Freunden, bei dem wir rumblödeln und uns allerlei Geschichten aus dem Alltag erzählen konnten. Durch die ganzen Quasselein und Rumalbereien hat es dann zwar länger mit dem Nähen gedauert, aber so lange alle Spaß hatten und die Taschen am Ende doch fertig geworden sind, gibt es Nichts, worüber man sich beschweren könnte. Ich habe das Gefühl, dass die Nachmittagsbeschäftigungen den Kindern auch deshalb viel bringen, weil sie die Kinder untereinander zusammenschweißen und sich gute Freundschaften bilden, was mir auch besonders bei dem Nähen aufgefallen ist. Für mich war es eine gute Möglichkeit mit den Kinder, die im Unterricht etwas stiller sind ins Gespräch zu kommen und sie besser kennenzulernen und verstehen lernen.

Neben der Aktion mit dem Nähen, habe ich einige der Kinder auch nachmittags in der Bücherei oder beim “Dancing Club”, der Tanz AG, gesehen. Alle zusammen habe ich sie dann noch einmal zwei Tage vor den Ferien zusammengerufen, um Mandasi – malawisches Fettgebäck – zu backen. Zuvor haben wir im Unterricht besprochen welche Zutaten man dafür braucht, wo man diese kaufen kann, wie man es zubereitet, Kunden anlockt und es anschließend richtig verkauft. Einige Kinder wurden am Nachmittag auf den Markt geschickt, andere haben Töpfe, Kochlöffel, Schüsseln oder Feuerholz von zu Hause geholt und dann haben wir uns alle zusammen in dem Schulgarten versammelt, um dort in Gruppen über dem Feuer Mandasi zu backen. Jeder konnte seine Talente zur Geltung bringen: Einige backten lieber, andere hatten ein Talent dafür den Kunden ein schönes Lied vorzusingen, sodass er sich viele Mandasi kauft!! Ich habe bei dieser Beschäftigung mit den Kindern wirklich viel von ihr gelernt, und wenn man die Kinder studenland beim Mandasibacken beaufsichtigt, vergisst man das Rezept bestimmt nicht so schnell. Was ich erstaunlich finde, ist, dass die Kinder die Mandasi nach Augenmaß zubereiten und sie trotzdem immer sehr gut werden. Meine waren selbst mit genauen Angaben am Anfang nicht so gut, wie die der Kinder nach Augenmaß! So haben wir alle Mandasi, die eigentlich zum Verkauf für zwei Tage gedacht waren, in wenigen Stunden verkauft, worauf die Kinder sehr stolz waren und nun bin ich natürlich stolz auf sie!

Zu meiner großen Überraschung hat eine meiner Klassen mit dem Klassenlehrer dann noch eine Abschiedsparty für mich gemacht. Sie haben das gut eingefädelt, da ein Kind zu mir kam und mir gesagt hat, es möchte sich im Klassenraum persönlich von mir verabschieden und nochmal mit mir sprechen. Also bin ich mit dem Kind in die Klasse gegangen und dort saßen alle Kinder aus meiner Klasse: Sie hatten Essen und Trinken dabei und haben für den Klassenlehrer und mich sogar etwas gekocht! Vor, nach und während des Essens wurde gebetet, gesungen, getanzt und es wurden sogar Dramen von den Kindern vorgeführt, die sie für diesen Tag vorbereitet haben. Natürlich hatte ich auch genug Zeit mit den Kindern zu sprechen und Späße zu machen. Zum Ende hin hat der Klassenlehrer der Klasse für das schöne Schuljahr gedankt, sie für all die guten Sachen, wie z.B. Ihr gutes Verhalten in der Schule, gelobt und ihnen Ratschläge gegeben, wie das nächste Schuljahr gelingen kann. Dann hat er total nett über meinen Unterricht gesprochen und darüber, was die Kinder in ihm gelernt haben und ihnen gesagt, dass sie das nie vergessen sollen, weil es wichtig für das ganze Leben ist. Ich war in diesem Moment sehr gerührt, da es wirklich schön war! Anschließend konnte auch ich einige Worte an die Kinder richten und danach hat der Lehrer gefragt, welches Kind mir etwas sagen möchte und eine Reihe Kinder sind aufgestanden um den Unterricht zu loben, mir zu sagen, dass sie mich vermissen werden usw. Anschließend haben sie das Lied „Till we meet again“ gesungen, in dem es darum geht, dass Gott die fortgehende Person beschützen soll, bis man sich wiedersieht. Die Party kam wirklich von Herzen und war gerade deshalb so toll und unvergesslich.

Kurz darauf kam dann der Abschied von der ganzen Schule. Kinder als auch Lehrer haben Dramen, Lieder und Tänze aufgeführt und sich wirklich viel Mühe gegeben. Obwohl Anne und ich zum Schluss dieser bunten Veranstaltung eine Abschlussrede gehalten haben, ist keine Abschiedsstimmung aufgekommen, da es durch die ganzen Aktivitäten so fröhlich und heiter wurde. Als dann am Tag darauf, dem letzten Schultag, die Eltern mit ihren Kindern in die Schule kamen, um die Zeugnisse zu unterschrieben, ist mir endgültig klar geworden, dass ich die Kinder heute das letzte Mal sehe: Ein Mädchen hat geweint, andere haben mir ein Geschenk gegeben oder noch ein Foto mit mir gemacht – es war alles ziemlich emotional. Als schon fast alle Kinder nach Hause gegangen sind, habe ich ein Mädchen noch bis auf den Weg begleitet und da hat sie zu mir hochgeschaut und traurig gefragt: „Will we not see each other again?“ - „Werden wir uns nicht mehr wiedersehen?“ In dem Moment kamen mir wirklich die Tränen, weil mir klargeworden ist, wie schwierig es für mich aber auch die Kinder ist, sich immer wieder mit jemandem anzufreunden und sich dann nach einem Jahr verabschieden zu müssen! Ich habe versucht mich zusammenzureißen und ihr gesagt, dass wir uns bestimmt wiedersehen werden.

Nach all den frühzeitigen Verabschiedungen begannen die Ferien, in denen ich zunächst einmal nach Nkhata Bay, in den Norden Malawis, gereist bin, um noch einmal Zeit mit Freunden, die ich in vorherigen Ferien dort getroffen habe, zu verbringen. Ich habe dort bei einer malawischen Freundin gewohnt, die zuvor in Madisi gelebt hat und es war wirklich eine der besten Erfahrungen in diesem Jahr! Was ich daran so toll fand, mit ihr zusammen zu wohnen war, dass sie in einem typisch malawischen Dorf lebte und wir wirklich malawisch gelebt haben: Wir haben auf einer Strohmatte geschlafen und sind morgens um 5 aufgestanden, um Feuer für Tee aufzusetzen und sind anschließend im See baden, Geschirr spülen und duschen gewesen. Wir saßen oft vor ihrem Haus und haben einfach mit den Nachbarn Zeit verbracht, haben zusammen gekocht, uns um die Nachbarskinder gekümmert. Es war wirklich das einfache Leben. Aber ich habe gelernt, wie die Menschen aus wenig viel machen und trotzdem irgendwie ziemlich glücklich sind.

Nach diesen Ferien hatte ich noch ca. 1 ½ Wochen in Malawi, in denen Anne und ich uns hauptsächlich mit Leuten aus Madisi getroffen haben – dem Personal des Projekts oder aber Leuten, die wie während unseres Jahres kennengelernt haben. Es war toll, alle noch einmal zu Hause zu besuchen. Die Zeit verging wirklich viel, viel zu schnell!!!

Obwohl Abschiednehmen niemals leicht ist und es unglaublich schwierig ist, einfach so Kulturen für ein Jahr zu tauschen und obwohl man nach so einem Jahr irgendwie zwei Heimaten hat und nicht an beiden zu gleicher Zeit sein kann, bin ich so unglaublich dankbar für dieses Jahr. Ich habe so viele lehrreiche Erfahrungen gemacht und mein Horizont hat sich unglaublich erweitert. Ich habe das Gefühl, jetzt mit anderen Augen weiterzuleben – ich sehe viele Dinge anders als vor Malawi. Oft denke ich z.B. daran, welche Auswirkungen mein Handeln auf die ganze Welt und nicht nur auf mich persönlich hat. Das habe ich zuvor nicht gemacht, aber es hilft mir sehr, mich als Bewohnerin „einer Welt“ zu sehen und zu fühlen und ich merke, was für Auswirkungen mein Handeln für andere Menschen auf anderen Teilen der Welt, aber auch im direkten Umwelt, hat und wieviel verzwickter als man denkt die Welt wirklich ist.

Das mitarbeiten in dem Projekt in Madisi, der Grundschule, hat mich noch einmal neu dazu motiviert, Lehrerin zu werden und so werde ich nun Grundschullehramt in Dortmund studieren. Wer weiß? Villeicht kehre ich als Lehrerin ja nochmal nach Malawi zurück! Schön wär' es.

Tionana :-) Wir sehen uns! Denn man sieht sich immer öfters im Leben.

Nicole